Im Jahr 1995 identifizierte ich ein Gen, das strukturelle Ähnlichkeit zu dem Gen aufwies, dass den Bauplan für das Enzym Transketolase (TKT) enthält. Aufgrund dieser Tatsache erhielt das Gen und das Enzym, welches aus diesem gebildet wird, den Namen Transketolase-like 1 (TKTL1) – also Transketolase-ähnlich. Durch die zahlreichen molekular- und evolutionsbiologischen Erkenntnisse, die seitdem gewonnen wurden, wissen wir heute, dass das TKTL1-Gen im Laufe der Wirbeltierevolution mutiert ist und sich die Funktion des TKTL1-Enzyms dadurch grundlegend verändert hat.
TKTL1 – Enzym mit neuer Funktion
Anders als die ursprüngliche Transketolase, die eine Zweisubstratreaktion katalysiert, ermöglicht TKTL1 einen Stoffwechselweg, der in den Lehrbüchern der Biologie und Medizin bislang nicht im Menschen beschrieben wurde:
Eine Einsubstrat-Reaktion, bei der der Fünferzucker (Pentose, C5-Körper) Xylulose-5-Phosphat zu Glycerinaldehyd-3-phosphat (C3-Körper) und einem C2-Körper umgewandelt wird. 2016 bestätigten Forscher der Universität Barcelona1 meine Jahre zuvor getätigte Vermutung, dass es sich bei diesem C2-Körper um Acetyl-CoA handelt, das im Zellstoffwechsel eine zentrale Rolle einnimmt.

Zweisubstratreaktion: Klassische Enzymreaktion der Transketolase (TKT)

Einsubstratreaktion: Neu erworbene Enzymreaktion der Transketolase-like 1 (TKTL1)
Vergleich der Energiegewinnungswegen
TKTL1 – Schutzfaktor für gesunde Zellen
Anders als bei der oxidativen Energiegewinnung in den Mitochondrien entstehen beim TKTL1-vermittelten aeroben Vergärungsstoffwechsel keine zellschädigenden Radikale. Gleichzeitig entschärft das gebildete Pyruvat exogene Radikale. Hiervon profitieren nicht nur Krebs- sondern insbesondere auch einige gesunde Zellen, so dass die Entstehung des TKTL1-Gens und des hieraus gebildeten Enzyms als ein Meilenstein in der Evolution des modernen Menschen angesehen werden kann.

Augen
Durch den ständigen Lichteinfall sind die Retina (Netzhaut)-Zellen des Auges einer starken, UV-bedingten Radikalbildung ausgesetzt. Ohne einen geeigneten Schutzmechanismus würden die hierdurch entstehenden Schäden schnell zum Erblinden führen. Der TKTL1-vermittelte aerobe Vergärungsstoffwechsel vermeidet einerseits eine weitere Radikalbildung über die Mitochondrien. Gleichzeitig unterstützt das im Rahmen dieses Stoffwechsels gebildete Pyruvat die Neutralisierung von exogenen Radikalen, die durch den Einfall von UV-Licht in die Retina-Zellen eindringen.

Hoden
Um gesundes neues Leben zu ermöglichen, muss das Erbgut in den Spermien vor Mutationen geschützt werden. Eine erhöhte TKTL1-Aktivität in den Hoden schützt die DNA der Spermien vor Radikal-bedingten Schäden und beugt so Fehlbildungen bei den Nachkommen vor. Das TKTL1-Protein stellt somit auch einen wichtigen Marker für die Fertilität eines Mannes dar2.
Der aufgrund des TKTL1-Stoffwechsels stark erhöhte Glukosekonsum der Spermienzellen ist auch bei einer FDG-PET gut sichtbar. Die Hoden erscheinen auch beim gesunden Mann als Gewebe mit hoher Glukoseanreicherung („hot eggs“).

Nerven
Nervenzellen profitieren nicht nur vom TKTL1-bedingten Radikalschutz. Im Rahmen des aeroben Vergärungsstoffwechsels werden verstärkt Reduktionsäquivalente wie NADPH und Glutathion gebildet. Diese reduzieren das Protein Cytochrom c und verhindern so, dass dieses den programmierten Zelltod (Apoptose) auslöst3. Vergärende Nervenzellen überleben so selbst dann noch, wenn in ihnen bereits Beta-Amyloid-Plaques entstanden sind4. Der TKTL1-bedingte Schutz der Nervenzellen vor einem vorzeitigen Zelltod gehört damit zu den wichtigsten evolutionären Entwicklungen, die Säugetieren und insbesondere dem Menschen eine langanhaltende Funktionalität des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten ermöglicht.
Bereits in den 20er Jahren beobachtete der deutsche Arzt, Biochemiker und spätere Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg den ungewöhnlichen Energiestoffwechsel von Krebszellen. Anders als bei den meisten gesunden Zellen, die nur bei Sauerstoffmangel Vergärung betreiben, bildeten die von ihm untersuchten Krebszellen auch dann noch hohe Mengen Milchsäure, wenn ihnen Sauerstoff zugeführt wurde – ein Zeichen für einen Vergärungsstoffwechsel auch bei Anwesenheit von Sauerstoff (aerobe Glykolyse).
Warburg stellte aufgrund seiner Beobachtung die Hypothese auf, dass Schäden an den Mitochondrien die Ursache für Krebs seien. Heute wissen wir, dass er mit seiner Hypothese zwar falsch lag und stattdessen Erbgutveränderungen (Mutationen) in bestimmten Genen zu Krebs führen.
Seine Entdeckung, dass maligne Tumorzellen auch bei Anwesenheit von Sauerstoff einen milchsäureproduzierenden Vergärungsstoffwechsel zur Energiegewinnung nutzen (Warburg-Effekt), gilt jedoch nicht zuletzt durch die Erkenntnisse rund um TKTL1 als bestätigt. Der damit einhergehende hohe Glukosekonsum der Krebszellen wird heute sogar diagnostisch im Rahmen der Positronen-Emissions-Tomographie genutzt.
Nichtsdestotrotz darf die von Warburg beschriebene aerobe Glykolyse nicht mehr nur als „Besonderheit von Krebs“ erachtet werden, sondern muss aufgrund der jüngsten Erkenntnisse zur Funktion von TKTL1 in Zellen wie Nervenzellen, Retinazellen und Spermien vielmehr als wichtiger Schutzmechanismus für empfindliche Gewebe angesehen werden.
TKTL1 – Schutzfaktor und Überlebensstrategie für Krebszellen
Obwohl der TKTL1-vermittelte aerobe Vergärungsstoffwechsel einen evolutionär wichtigen Schutzmechanismus für bestimmte Körpergewebe darstellt, birgt dieser auch eine Schattenseite: Eine Aktivierung von TKTL1 in unerwünschten, entarteten Zellen geht mit einer gesteigerten Malignität einher. Die zellschützenden Effekte des besonderen Stoffwechsels fördern nicht nur deren unbegrenztes Überleben. Charakteristisch für Krebszellen –und der Unterschied zu gutartigen Tumoren – ist ihr invasives Wachstum, ihre Fähigkeit, umliegendes Gewebe zu zerstören und im Körper Metastasen zu bilden. Der TKTL1-vermittelte Vergärungsstoffwechsel bietet Vorteile, die eben diese Faktoren fördern und damit die Aggressivität der Krebszellen steigern.
TKTL1 als Marker für aggressive Krebszellen
- Schnelles, invasives Wachstum und erleichterte Metastasierung
- Schutz vor Radikal-bedingten Zellschäden, Apoptose-auslösenden Signalen und vor dem Angriff durch Immunzellen
- Resistenz gegen eine Vielzahl derzeit verfügbarer Therapieverfahren
Patienten mit TKTL1-positiven Tumoren zeigen oft eine schlechtere Therapieprognose und deutlich verkürzte Überlebenszeiten 25 26 27 28 29 30 31.
TKTL1 stellt daher einen universellen Marker für die Malignität von Krebszellen dar und hilft dabei, Patienten zu identifizieren, für die eine begleitende Behandlung sinnvoll ist, die gezielt auf den TKTL1-Stoffwechsel einwirkt und die TKTL1-Aktivität bzw. deren Auswirkungen hemmt.
Quellen
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